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Zerschmetterte Grössen.

Julius Segall


Es stand ein hoher, alter Baum

Nicht weit von unserm Fenster;

Ich war ein Kind und glaubte noch

An Feen und Gespenster.


Wenn ich in meinem Bette lag,

Da hörte ich sein Rauschen;

Der Baum erzählte vieles mir,

Ich konnte Stunden lauschen.


In einer Nacht, da fuhr der Blitz

Auf meinen Freund hernieder,

Zerschmetterte sein edles Haupt

Und seine mächtgen Glieder.


Nun sind es viele Jahre her —

Was ist seitdem geworden?

Ein grimmer Krieg verkehrt die Welt

Mit grauenvollem Morden.


Gar mancher, der im stolzen Flug

Die Höhe hat erstiegen,

Den man gleich einem Gott verehrt,

Muss jetzt im Staube liegen.


Geblieben ist kein einzger Freund,

Jetzt steht er ganz verlassen!

Und schaudernd sieht er um sich her,

Wie ihn die Menschen hassen.


Erblick ich, wie erbarmungslos

Sie ihn verhöhnend kränken,

Dann muss ich an den Jugendfreund

Ganz unwillkürlich denken.


Dann schau ich meinen lieben Baum

Genau im Geiste wieder,

Entblättert war das edle Haupt,

Zerschmettert seine Glieder.



Segall, Julius. “Zerschmetterte Grössen.” In Gedichte, 27–28. Milwaukee: self–published by Julius Segall, 1915.


Segall, Julius. “Zerschmetterte Grössen.” In Gedichte, 27–28. Milwaukee: self–published by Julius Segall, 1915.

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