Es stand ein hoher, alter Baum
Nicht weit von unserm Fenster;
Ich war ein Kind und glaubte noch
An Feen und Gespenster.
Wenn ich in meinem Bette lag,
Da hörte ich sein Rauschen;
Der Baum erzählte vieles mir,
Ich konnte Stunden lauschen.
In einer Nacht, da fuhr der Blitz
Auf meinen Freund hernieder,
Zerschmetterte sein edles Haupt
Und seine mächtgen Glieder.
Nun sind es viele Jahre her —
Was ist seitdem geworden?
Ein grimmer Krieg verkehrt die Welt
Mit grauenvollem Morden.
Gar mancher, der im stolzen Flug
Die Höhe hat erstiegen,
Den man gleich einem Gott verehrt,
Muss jetzt im Staube liegen.
Geblieben ist kein einzger Freund,
Jetzt steht er ganz verlassen!
Und schaudernd sieht er um sich her,
Wie ihn die Menschen hassen.
Erblick ich, wie erbarmungslos
Sie ihn verhöhnend kränken,
Dann muss ich an den Jugendfreund
Ganz unwillkürlich denken.
Dann schau ich meinen lieben Baum
Genau im Geiste wieder,
Entblättert war das edle Haupt,
Zerschmettert seine Glieder.